Novellierung PartIntG: Wir brauchen eine Gesetzesnovelle gegen rassistische Diskriminierung und für Empowerment

Über die Novellierung des Gesetzes für Partizipation und Integration (PartIntG) wird seit mehreren Jahren diskutiert, da dort definierte Konzepte und Begriffe nicht mehr zeitgemäß sind. Jetzt liegt ein Referent:innenentwurf vor mit dem Ziel, die Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte mit einer verbindlichen Quote zu erhöhen und partizipatorische Strukturen in der Berliner Verwaltung stärker zu verankern. Bis zum Sommer 2021 soll die Novelle im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.
BQN bezieht Stellung zum Gesetzesentwurf . Welche Wirkung hat die Novellierung im Hinblick auf eine vielfaltsgerechte Nachwuchsgewinnung und Personalentwicklung in der Berliner Verwaltung? Interview mit Serdar Yazar, Diversity-Trainer/Berater und Teamleiter bei BQN.
Wie hat BQN an der Novellierung des PartInG mitgewirkt?
Serdar Yazar: 2010 ist das PartIntG in Kraft getreten und etwa zeitgleich hat sich auch das Berlin braucht dich! Konsortium herausgebildet. Berlin braucht dich! ist ein starkes Instrument zur Diversitätsorientierung vom öffentlichen Sektor, was insbesondere die Nachwuchskräftegewinnung betrifft und den Übergang von Schule in Ausbildung. Trends, Tendenzen und Erfahrungen aus dem Strukturprojekt geben wir bei regelmäßigen Austauschtreffen mit der Integrationsbeauftragten wieder. Wir haben uns intensiv an der Evaluation zum Gesetz beteiligt. Eine Novellierung des Gesetzes fordern wir seit mehreren Jahren, um dessen Wirksamkeit zu steigern.
Berlin braucht dich! richtet sich an Jugendliche, die aufgrund der eigenen Rassismuserfahrung oder -verortung, dem Lebensalter und der sozialen Herkunft mehrfach benachteiligt sind. Diese drei Diversityaspekte führen in ihrer Verflechtung zu einer verschärften Benachteiligung. Was wird sich konkret für diese Zielgruppe verändern?
Yazar: Das Gesetz zielt nicht direkt auf eine intersektionale Diskriminierung, sondern auf die Repräsentation von Menschen mit eigener oder familiärer Einwanderungsgeschichte und Menschen, die von strukturellem Rassismus betroffen sind. Bislang erheben wir nur auf der Ausbildungsebene des Landes Berlins den Migrationshintergrund. Mit der Verabschiedung der Novelle sollten die Daten differenziert nach Berufssparten und flächendeckend für alle Hierarchieebenen erhoben werden.
Warum wird immer noch an dem Begriff „Migrationshintergrund“ festgehalten, wenn es doch eigentlich darum geht, rassistische und diskriminierende Strukturen abzubauen?
Yazar: Der „Rassismus“-Begriff wird gemieden, da Widerstände seitens der Senatsverwaltungen befürchtet werden. Ich glaube, wir brauchen noch mehr Debatten darüber, wie bedeutsam die Selbstdefinition von Menschen ist. Selbstdefinition ist ein sehr dynamischer Ansatz, mit dem sich Verwaltung und Politik schwer tut. Befürchtet wird, dass der Ansatz keine eindeutig messbaren Ergebnisse hervorbringt. Argumente für die Selbstdefinition werden hauptsächlich von Menschen im Diskurs gepusht, die selbst rassistische Diskriminierung erleben und wissen wie es ist, mit Fremdzuschreibungen ihr ganzes Leben zu leben und auch dementsprechend behandelt zu werden.
Derzeit wird mit zwei Begrifflichkeiten gearbeitet: Mit dem „Migrationshintergrund“, der statistisch gemessen werden kann, und der „Migrationsgeschichte“. In die zweite Kategorie fallen Menschen, die laut Definition keinen Migrationshintergrund haben, aber aufgrund von Hautfarbe, Religion etc. von anderen als Mensch mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden. Die Unterteilung halte ich nicht für sinnvoll. Es ist irritierend, wenn im LADG „rassistische Zuschreibung“ und im neuen PartMigG „Migrationsgeschichte“ steht. Das wird bei Mitarbeitenden im öffentlichen Sektor Irritationen erzeugen, da mit zu vielen Begrifflichkeiten operiert wird.
Die eigene Migrationsgeschichte ist sehr vielschichtig: Es ist das Märchen, das mir meine Großeltern früher als Kind erzählt haben. Es ist meine eigene Einwanderungsbiographie, meine Erinnerung an Städte, Länder und Gefühle der Heimat. Als was fühle ich mich? Mit was identifiziere ich mich? Die eigene Migrationsgeschichte ist ein Reichtum und das mit einer ausschließlich negativen Konnotation zusammenzufassen, finde ich schade. Wahrscheinlich werden wir in einigen Jahren wieder da sitzen und neu verhandeln, damit Menschen mit Rassismuserfahrungen auch sichtbar werden. Im jetzigen Diskurs, wo das erste Mal in der breiten Öffentlichkeit über strukturellen Rassismus gesprochen wird, wäre es eine Chance auf den Zug aufzuspringen und diese Dynamik für den Gesetzesentwurf zu nutzen.
Wenn wir uns den Gesetzesentwurf anschauen, fällt auf: Überall dort, wo mehr Regulierungen und Steuerungen im Sinne von mehr Repräsentanz und Teilhabe im Vordergrund stehen, werden „Menschen mit Migrationshintergrund“ und nicht „Menschen mit Migrationsgeschichte“ als Zielgruppe benannt. Das kann in der Praxis Lücken in der strukturellen Förderung hervorbringen.
Mit welchen konkreten Maßnahmen lässt sich strukturell verankerter Rassismus im Auswahl- und Einstellungsverfahren abbauen?
Yazar: Mehrsprachigkeit und Diversität sollten generell eine stärkere Gewichtung haben, sowohl bei der Einstellung als auch im Sinne einer Personalentwicklung. Das bedeutet, dass Menschen, die häufiger von Diskriminierung und Benachteiligung betroffen sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden. Die Forderung nach einem Nachteilsausgleich ruft jedoch viele Fragen und Ängste hervor. Zum Beispiel, ob es sich mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt und Chancengleichheit gewahrt wird.
Wichtig ist auch, dass der Ausbildungsbereich explizit im Gesetz genannt wird und die Einstellungsprozeduren so genau wie möglich festgehalten werden. Mehr Regulierung bedeutet nicht mehr Sanktion, sondern ist eher eine Unterstützung für die diversitätsorientierte Entwicklung im Personalbereich. BQN Berlin erachtet Einstellungsquoten als ein unumgängliches Instrument dafür.
Darüber hinaus ist es wichtig, für jede Dienststelle auch eine:n Beauftragte:n für Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte zu installieren. Wir haben Jugendauszubildendenvertreter:innen, die als Garant dienen, dass Einstellungsverfahren jugendgerecht ablaufen. Wir haben Menschen, die sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie für Menschen mit Schwerbehinderung verantwortlich fühlen. Aber wir haben keine Person, die für Menschen mit Migrationsgeschichte zuständig ist. Darauf sollten natürlich alle gleichzeitig blicken, doch in der Praxis sieht das leider anders aus.
BQN führt regelmäßig Diversity-Schulungen mit Mitarbeitenden der Berliner Verwaltung durch. Wie kann darüber hinaus langfristig ein diskriminierungskritischer Kompetenzaufbau in den einzelnen Abteilungen sichergestellt werden?
Yazar: Alle Beschäftigte sollten sich stärker mit der Thematik Diversität auseinandersetzen und eine positive Haltung dazu gewinnen. Das bedeutet, dass Trainings nicht alleinstehen dürfen, sondern eingebettet werden müssen in eine gesamte Personalstrategie. Die Anregungen verpuffen, wenn es dafür keine Reflexionsräume gibt im beruflichen Alltag. Das heißt, es muss Bestandteil sein eines jeden Personalgesprächs, jedes Weiterbildungskonzeptes und jeder Stellenbeschreibung.
Die „Bestenauslese“ wird häufig als ein Hindernisgrund genannt für diversitätsorientierte Personalentwicklung. Wie ist eine vielfaltsgerechte Auswahl möglich?
Yazar: Unsere langjährigen Projekterfahrungen zeigen vier mögliche Wege auf:
Dem Praktikum und/oder praktischen Einsätzen mehr Bedeutung im Einstellungsprozess beimessen: Bei einem praktischen Einsatz kann der Betrieb den Jugendlichen und/oder angehenden Mitarbeitenden ganzheitlicher sehen und diese wiederum die Organisation besser kennenlernen. So können Personaler:innen relevante Kompetenzen herausfiltern und zu der Überzeugung gelangen: Mit dem (jungen) Menschen möchten wir zusammenarbeiten. Das ist eine zentrale Stellschraube, die mit in die Novelle des PartIntG hineingehört.
Eine unkonventionelle Gewichtung von Kompetenz: Netzwerkkenntnisse, Orientierungsvermögen in diversen Lebenswelten und Mehrsprachigkeit können zum Beispiel sehr gut auch mit der „Bestenauslese“ vereinbart werden.
Mehrstufige Auswahlverfahren nicht als K.o.-System anlegen, sondern als Orientierung nutzen. Welche Kompetenzen sind bei der Einstellung notwendig und welche lassen sich im Laufe der Ausbildung bzw. im Rahmen der Einarbeitung und Personalentwicklung aufbauen? Die Auswahlkriterien sollten von dem Ziel abgeleitet werden, die Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte zu erhöhen.
Jede Verwaltungseinheit bzw. Abteilung in Landesunternehmen sollte schon aus eigenem Antrieb Zielgrößen bei der Einstellung und Beförderung von Menschen mit Rassismuserfahrung einführen. Auch sollten für jede Etappe in den Einstellungsverfahren Teilziele und Indikatoren definiert werden. Die Maßnahmen, die auf eine diversitätsorientierte Personalentwicklung abzielen, können daran nach ihrer Wirksamkeit überprüft werden.